Wir wohnen jetzt seit knapp sechs Monaten in der Schanze, Zeit für ein erstes Fazit. Ich bekomme wirklich (wirklich!) häufig Fragen von Freunden, Familie und euch dazu, wie es ist, hier zu wohnen, ob das überhaupt was für Familien ist und wie wir uns hier insgesamt fühlen.
Wohnen in der Schanze
Ja richtig, das Schanzenviertel ist eher für sein Nachtleben bekannt, für gute Kneipen, ein paar Clubs, zum Cornern, vielleicht noch für ein paar gute Frühstücksadressen. Die Schanze war vor unserem Umzug immer unsere Anlaufstelle für gutes Bier oder ein deftiges Abendessen, wir haben uns hier gern mit Freunden getroffen, um danach noch zusammen weiterzuziehen. Also, früher, bevor wir Eltern wurden. Jetzt wohnen wir hier. Jetzt will ich keinen Drink mehr, sondern guten Kaffee, ich suche kein nettes Deli, sondern saubere und schöne Spielplätze. Alex hat es vor ein paar Tagen ganz gut formuliert: In der Schanze merkt man, wie spießig man ist…oder auch nicht. Und das stimmt zu 100%.
Disclaimer: Ich werd nicht versuchen, mich diplomatisch auszudrücken. Ich weiß, dass es Menschen und Familien gibt, die meine Sicht überhaupt nicht teilen und sich hier sehr, sehr wohl fühlen. Das ist super und respektiere ich natürlich. Dieser Beitrag hier ist mein persönliches und von euch gewünschtes Update darüber, wie wir unseren Alltag hier erleben. Gerade wegen der vielen Möglichkeiten und der großen Vielfalt in diesem Viertel glaube ich auch nicht, dass mein Fazit jetzt ins Schanzenimage reinkracht. Es gibt einfach so viele Menschen, die aus diesem besonderen Lebensgefühl hier unheimlich viel Positives nehmen, das will ich überhaupt nicht schmälern.
Das ist toll…
Die Schanze ist unheimlich spannend. Hier trifft so viel aufeinander, nicht nur Menschen, Kulturen und Lebensweisen. Ich hab das Gefühl, hier liegt immer ein wenig Anspannung in der Luft, die Schanze hat einen ganz besonderen Vibe, der nicht unbedingt zwanglos und extrem locker ist, wie man vielleicht erwarten würde.
Ich hatte meinen ersten richtig schönen Großstadt-Moment mit Henry hier, als wir vor ein paar Wochen an einem der ersten warmen Tage auf dem Schulterblatt saßen, uns ein paar portugiesische Törtchen geteilt haben und ganz lange drei tollen Straßenmusikanten zuhörten. Henry nahm alles, was um uns herum passierte, ganz neugierig, wachsam, aber auch als völlig selbstverständlich auf und fühlte sich total wohl. Wenn ich da an meine Eltern oder Besucher denke, die sich auch beim zweiten oder dritten Besuch immer noch wie auf Zehenspitzen durch die Großstadt bewegen, war das einfach so schön zu beobachten. Klar, Henry ist ein Großstadtkind, er kennt es gar nicht anders und er muss es nicht erst lernen – anders als wir – die Schönheit und das Besondere hier zu sehen. Wir blieben auf unserer Bank sitzen, bis die Sonne unterging und Alex uns einsammelte, aber dieser Nachmittag war schön und wunderschön alltäglich.
Kulinarisch und Shoppen
Kulinarisch ist hier wahnsinnig viel los, viel in Bewegung und für jeden Geschmack etwas dabei. Früher hätten wir hier jeden Abend ein anderes Restaurant ausprobiert, aber in der aktuellen Dynamik unseres Alltags können wir diese Vielfalt leider kaum nutzen, auch wenn Alex und ich unsere wöchentlichen Mittagsdates eingeführt haben. Richtig schön und besonders sind auch die vielen kleinen Cafés und Boutiquen, die wirklich gut aufgestellt sind und tolle oder außergewöhnliche Produkte listen.
Meine aktuellen Favoriten:
Ich hole mir meinen Kaffee bei Espressolution
Für ein schnelles, frisches Mittagessen geht es in die Polo-Kantine.
Wir lieben Pizza und Limo im Hinterhof von Jill
Kinderspielzeug und Geschenke finden wir in „Die Druckerei“
Das besondere Outfit und schöne Basics kaufe ich bei Edited.
Überraschungsmoment
Ich bin seit Tag Eins total überrascht davon, wieviele junge Familien in der Schanze wohnen. Gerade tagsüber flitzen hier so viele Kids mit Laufrädern über das Schulterblatt, bewegen sich so lässig und selbstverständlich zwischen Kindergarten, Spielplatz und Supermarkt, dass man fast neidisch werden könnte. Besonders die Nähe zum Planten & Blomen, zum Dom (2 x im Jahr) und zum Hafen ist wirklich super, vor allem auch, weil Henry mittlerweile schon konkrete Wünsche äußert, was er unternehmen möchte. Langweilig wird uns hier jedenfalls nicht!
…und das nervt!
Ich hab vor dem Umzug keine Sekunde an das Offensichtliche verschwendet: Die Schanze ist voller Touristen, besonders im Sommer. Das nervt unheimlich, weil da auch so ein Rattenschatz dran hängt. Das Schulterblatt ist immer überfüllt, die Mülleimer ebenfalls und die Wartezeiten auf einen ganz normalen Kaffee sind teilweise echt absurd – das macht kleine Alltagsmomente manchmal wirklich anstrengend.
Ich find ganz schlimm, wie viel Glas und Müll auf den Gehwegen liegt. Henry muss nur einmal unvorsichtig sein, träumen, stolpern oder stürzen und liegt mit beiden Händen in Glasscherben. Das ist kein Szenario einer übervorsichtigen Mutter, sondern ziemlich realistisch und deswegen eine meiner Hauptsorgen, wenn wir mit dem Laufrad draußen sind.
Vielleicht sind wir wohntechnisch auch einfach verwöhnt, zumindest denk ich das ganz oft. Wir haben vier Jahre in Eimsbüttel gewohnt, da ist es wesentlich beschaulicher und sauberer, das Viertel hat fast schon Dorfcharakter. Es gibt keine Touristen, man kennt sich bei Namen, kann im Lieblingscafé anschreiben lassen, wenn das Kleingeld nicht reicht und muss keine Angst haben, dass der Spielplatz zwischen 24-6 Uhr morgens zweckentfremdet wurde.
Spielplätze und Grünflächen
Apropos Spielplatz. Die meisten Spielplätze sind toll, sehr grün (überraschend grün) und bieten wirklich schöne Spiel-und Tobemöglichkeiten für Kleinkinder. Mein Spießerproblem dabei ist, dass ich dafür meistens durch Grünanlagen laufen muss, in denen offensichtlich gedealt wird oder sich Betrunkene extrem unpassend verhalten. Mein Kind muss in keiner Wattewolke aufwachsen, aber das sind Variablen, die mir schwer fallen, einfach hinzunehmen.
Und naja, dafür kann die Schanze nichts, aber mir fehlt ein großer Balkon oder eine Terrasse, irgendwas, das es uns möglich macht, an die frische Luft zu kommen, ohne hundert Sachen einzupacken und den Tag außerhalb der Wohnung zu verbringen. Ich komm gerade auch vom Arbeitspensum an einen Punkt, an dem ich mich ganz einfach nicht den halben Tag draußen aufhalten kann. Henry beschäftigt sich mittlerweile auch so gut alleine, dass eine Spielmöglichkeit außerhalb des Kinderzimmers, aber innerhalb unseres Zuhauses so vieles leichter machen würde. Einfach um mir die Option offen zu halten, zwischendurch vielleicht doch auch mal dringende Mails abzuarbeiten – und nicht mit schlechtem Gewissen im Nacken am Spielplatz das Handy auszupacken.
Zukunftsmusik
Der letzte Punkt bringt mich auch schon fast ans Ende meiner Meckerliste: Ich seh uns hier nicht langfristig. Ich liebe unsere wunderschöne Wohnung, die vielen besonderen Details, das offene Mauerwerk, den rauen Dielenboden und den alten Stuck. Es ist wirklich, wirklich schön hier. Aber es ist kein ideales Zuhause für eine Familie, zumindest nicht, wie wir uns das wünschen und vorstellen. Wenn wir einen Garten oder einen Balkon hätten, wenn wir ein Arbeitszimmer hätten, wenn wir die kleinen Baustellen hier nicht selber finanzieren müssten, wenn, wenn, wenn…dann wäre mein Fazit vielleicht ein anderes.
Wir haben hier natürlich auch schon supernette Leute kennengelernt, die meisten Nachbarn sind wirklich entspannt und ich bin froh, mir hier und da auch mal ein wenig Coolness abzugucken. Und klar, es braucht mehr Zeit, sich an einem neuen Ort einzuleben, auch wenn es ein Viertel ist, dass man eigentlich schon kannte. Mein Fazit ist nicht in Stein gemeißelt, sondern vor allem eine Momentaufnahme, aber jetzt gerade, heute, an diesem wunderschönen Sommertag, fühl ich mich nicht, als könnte ich hier bleiben.
Hallo Regina! Ein schöner Artikel wie ich finde. Ich kann dich in deinen Kritikpunkten wirklich verstehen, denn wir gehörten in der Vergangenheit zu den Schanzentouristen die Superbude ist immer unser Ziel. Und ich bin auch immer wieder überrascht wie voll es in der Umgebung ab dem Nachmittag wird. Ich wünsche euch einen Ort zum Ankommen! So lange genießt den Reiz der Schanze. LG aus Berlin, Melanie
Ich kann mich deinem Text voll anschließen. Ich wohne seit mittlerweile über 6 Jahren hier, habe nie woanders innerhalb von Hamburg gewohnt und merke, dass das eine Halbwertszeit hat. In den letzten Jahren wurde der Dreck – meiner Meinung nach – schlimmer. Fast täglich rege ich mich über die Menschen auf, die es nicht schaffen, Glasflaschen heil irgendwo zu deponieren. Alles ist voll mit Scherben, Müll, … das macht so echt wenig Spaß. Vielleicht werde ich spießiger, keine Ahnung. Aber ich sehe mich hier nicht komplett in der Zukunft. Grade wenn Nachwuchs kommen sollte, möchte ich eher wieder was ländliches. Für die Schanze bin ich dann wohl zu ängstlich. Hier ist zwar immer was los, jedoch ist halt auch wirklich immer was los. Grade im Sommer merkt man das ganz besonders. Von vollgeko*** Hauseingängen möchte ich nun gar nicht reden. Und das Vergnügen mit dem Dom haben wir sogar 4x im Jahr.
Ich mag die Zeit hier trotzdem nicht missen. Man hat alles, was man braucht und man ist schnell überall anders. Noch fühle ich mich ganz wohl.
Echt ein super Post! Auch mir Kindern kann man in der Großstadt und mittendrin wohnen. Ich finde ihr zeigt das toll! Und vielleicht bekommen Kinder ja auch die nötige Toleranz mit, wenn sie in Gegenden wie der Schanze wohnen! Super Post!